„Sag doch mal Bouillon.“ – die neue Short Story – zum Kochvideo-Duell: Hühnersuppe vs. Viren

Sag doch mal „Bouillon“

Der junge Mann ließ seine Finger über die Buchrücken in den Regalen wandern, griff sich ab und an ein Exemplar, besah es sich von allen Seiten und stellte es wieder zurück an seinen alten Platz. Abwechselnd kniff er die Augen zusammen, runzelte seine Stirn oder räusperte sich unappetitlich. Maria Becker war klar, da benötigte jemand ihre Unterstützung, doch er würde sie nicht darum bitten.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“

Der Kunde zögerte einen Moment, fast schien es so, als ob er ihr Angebot ernsthaft abwägen müsste. Dann gab er sich einen Ruck.

„Schon möglich. Jedenfalls hatte ich so einen Zettel, wo alles draufstand. Infos zu ´nem Buch. Für meine Nichte, zum Geburtstag. Aber jetzt … auf einmal ist der weg, dieser Wisch. So was Blödes.“

Der Mann, viel jünger, aber kaum größer als Maria, zuckte mit den Schultern. Die Buchfachverkäuferin nickte ihrem Gegenüber aufmunternd zu und gönnte ihm ein Lächeln.

„Wenn Sie mir ein paar Infos geben, dann kann ich Ihnen bestimmt weiterhelfen.“

„Ich suche ein Kinderbuch.“

„Na, das hab ich mir doch fast gedacht.“, Maria konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Der junge Mann zupfte nervös an seinem Ohrläppchen.

„Ach, ja. Na klar. Es ist ein Buch mit Tieren. Genauer gesagt sind es zwei Tiere, die miteinander befreundet sind. Ich meine … da ist ein Bär und ein Biber. Der eine wird dann plötzlich krank und der andere kümmert sich um ihn.“

„Das kenn ich. Glaub ich zumindest. Mmh… aber das waren … waren das nicht ein Löwe und ein Bär? Und der eine backt dem anderen einen Kuchen, glaub ich. Aber der Titel, hm, wie war der noch gleich …?“

Maria Becker kratzte sich kurz am Kinn, dann rief sie quer durch die Abteilung zu ihrer Kollegin hinüber: „Hör mal, Beate, weißt du noch den Titel von dem Buch mit dem Löwen, der dem Bären einen Kuchen backt?“

Beate war hinter den Bücherregalen nicht zu sehen, aber umso besser zu hören.

„Das waren, meine ich, ein Bär und ein Fuchs. Und der Fuchs kocht dann eine Suppe für den Bären. Der hat nämlich `ne Erkältung, oder so was in der Art.“

Just in diesem Moment versuchte eine jüngere Kollegin an ihnen vorbeizuhuschen, wurde jedoch von Marias kräftigem Griff gestoppt.

„Sag mal, Mia, dieses Buch mit dem Bären oder Löwen, der seinem Freund was kocht oder backt, war das ein Fuchs? Oder ein Biber?“

Mia schüttelte den Kopf. Sie war wohl eindeutig zu jung für einen Klassiker der Kinderbuchliteratur.

Eine Mutter mit einem kleinen Mädchen an der Hand wandte sich schmunzelnd Maria Becker zu.

„Also mich erinnert das eher an den Löwen, der mit dem Elefanten eine Weltreise macht. Unterwegs kochen die auch mal was zusammen. Ich glaube Beerenbrei mit Wurzelgemüse.“

Für einen Moment herrschte angestrengtes Schweigen. Bis das kleine Mädchen ganz vorsichtig an der Jacke seiner Mutter zupfte und ihr zuflüsterte: „Sag doch mal Bouillon.“

Die Mutter beugte sich zu ihrer Tochter herunter und machte ein ernstes Gesicht.

„Ella, wir hatten das doch abgesprochen: Erst Bücher gucken und danach gehen wir nach McDonalds. Du kannst dich nicht ständig umentscheiden.“

Mehrere Kunden waren inzwischen stehen geblieben und diskutierten untereinander und mit den Verkäuferinnen, um welches Buch mit Tieren es sich wohl handeln müsste.

Das kleine Mädchen nahm seinen ganzen Mut zusammen, machte einen Schritt auf Maria Becker zu, tippte sie an und murmelte: „Tiger und Bär.“

„Ja, mein Spatz, wir haben dahinten auch Plüschtiere. Die sind ganz süß. Frag doch mal deine Mama, ob du dich da umsehen darfst. Wir Erwachsenen müssen hier noch was Wichtiges besprechen, ja?“

Das Mädchen starrte die Verkäuferin mit offenem Mund an.

Aus den Lautsprechern der Buchhandlung ertönte eine blecherne Stimme: „Liebe Literaturfreunde! Wir bitten um ihre Mithilfe. Gesucht wird ein Roman mit zwei Tieren, die zusammen eine Reise machen. Das eine Tier ist ein Biber, Bär oder Fuchs. Bei dem anderen Tier handelt es sich wohl um einen Löwen oder Elefanten, der eine Pilzsuppe kocht und alle anderen Tiere des Waldes zum Schmausen einlädt. Sachdienliche Hinweise bitten wir an unseren Infostand weiterzuleiten,  wir danken Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.“

In diesem Augenblick schrie das kleine Mädchen für einen Moment in höchsten Tönen. Die Menschenmenge zuckte zusammen, die Mutter auch, dann wurde sie fleckig-rot im Gesicht.

„So, Ella, jetzt reicht´s mir aber! Warum schreist du denn hier so rum. Du scheinst mir ziemlich überdreht. Wir gehen jetzt wohl besser. Vielleicht sollten wir doch erst mal was zu Mittag essen. Entschuldigung, bitte … entschuldigen Sie …“

Die Mutter versuchte sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, dabei zerrte sie die Kleine hinter sich her.

„Ich mach dich gesund, sagte der Bär.“, rief Ella der Buchfachverkäuferin zu, als sie an ihr vorbeigeschleift wurde.

Doch wegen der laut debattierenden Menge konnte Maria Becker das Mädchen kaum verstehen.

„Ach, Kleine. Du hast ja recht. Lass dich erst einmal gesund machen. Dann kommst du noch einmal vorbei, wenn es dir wieder besser geht, ja. Dann nehm ich mir auch ganz viel Zeit für dich und wir gucken uns gemeinsam die Plüschtiere an, die Tiger und die Bären und all die anderen …“

Maria Becker winkte der Kleinen hinterher. Das Mädchen wand sich unter großer Anstrengung im Griff der Mutter und warf der Buchfachverkäuferin aus großen Augen einen letzten Blick zu.

Dabei flüsterte sie kaum hörbar vor sich hin: „Sag doch mal: Bouillon. “

„Oh ja!“, rief der kleine Tiger. „Das wollte ich sagen.“

 

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